Die Paradoxien der digitalen Welt

0001110011001. Ein Leben ohne die Vorteile des Digitalen wie ein Smartphone oder Tablet ist für alle bald kaum mehr vorstellbar und teilweise sogar lebensrettend. So zum Beispiel aktuell für viele  gut organisiert Flüchtlinge, die mit Hilfe von kostenlosen WLAN-Hotspots mit dem Handy via Skype, WhatsApp oder Viber sofort Kontakt zu ihrer zurückgebliebenen Familie aufnehmen oder sich am neuen Ort orientieren.

„Das Medium ist die Botschaft“, sagte bereits Medientheoretiker Marshall McLuhan vor gut einem halben Jahrhundert und sah voraus wie die digitalen Technologien – vor allem im Bereich der Massenkommunikation – unser Alltagsleben verändern werden. Denn heute sind bereits viele unserer Erfahrungen mehr oder weniger digital gesteuert. Der „Bit-Rausch“ verändert langfristig unsere Gesellschaft, Kultur und unser Gehirn. Oder wie McLuhan wusste: „Wir formen unser Werkzeug, und danach formt unser Werkzeug uns.“

ZEIT
Der Wechsel von analoger zu digitaler Kultur vollzog sich für meine Generation rasend schnell und doch stellt er einen Wendepunkt zwischen den Generation dar. Während manche nostalgische digital immigrants (Menschen, die wie ich im analogen Zeitalter geboren sind), die Vorteile der digitalen Welt noch als künstlich, fremdartig und unsozial bewerten, fühlt sich der digitale Reichtum für die Generation der digital natives (Menschen, die in der digitalen Welt aufgewachsen sind) als ganz natürlich an. Sie ist zu jung, um den revolutionären Übergang vom Analogen zum Digitalen tatsächlich wahrnehmen zu können. Vieles der analogen Welt wird ihnen heute in Geschichtsbüchern näher gebracht und nicht selten werden analoge Relikte (wie zum Beispiel eine Floppy-Disk) von ihr als „mittelalterlich“ interpretiert. 

Das Handy ersetzt heute nicht nur die Bankfiliale, Computer oder Festnetztelefone, es navigiert uns durch die Welt und natürlich bietet es auch Vorteile für die Kunst.

KUNSTVERMITTLUNG
Für Kunstvermittler bedeuten die digitalen Möglichkeiten grenzenlose Erreichbar- und Vermarktungsmöglichkeiten, sprich die Offerte eines ortsunabhängigen 24-Stunden-Service.

Vertiefende Informationen liefern die Homepages. Eine permanente Emailflut erreicht die Empfänger mit Informationen zum nächsten Ausstellungs- Messe- oder Auktionsprogramm. Preisdatenbanken sorgen für mehr Transparenz. Käufe werden via Email oder auf Online-Portalen abgeschlossen. Sharing-Portale wie artsy.net vergrößern die Verkaufspotentiale. 

PRODUKTION
Wahre Kunst entsteht über die jeweilige Zeit und Gesellschaft, also stets in der Gegenwart. Das Internet und neue Technologien öffnen neue Möglichkeiten künstlerischen Potenzials. Und unter diesen Gesichtspunkt würde ich sogar behaupten, dass die durch neue Technologien beeinflusste Kunstproduktion mit am glaubwürdigsten auf den Wandel der Zeit reagiert. Gleichzeitig hat sich die digitale Kunst neuen Herausforderungen zu stellen, denn sie ist ephemer und basiert auf eine vergängliche Technik. Die ständige Weiterentwicklung der Technik, erfordert ständige Verbesserungen. Herausforderungen, von denen sich diese Generation nicht abschrecken lässt. Im Gegenteil: die monatliche Fülle an Events zur digitalen Kunst belegt ein reges Interesse an ihr. 

Rezeption
Darüber hinaus hat sich der öffentliche, reale Ausstellungsraum in den globalen, virtuellen Datenraum ausgebreitet und bietet wie bereits angedeutet die permanente Rezeption von Kunst. 

Mikroskopisch vergrößerte Abbildungen in Online-Galerien wie Google Art Project ermöglichen es sogar museale Werke detaillierter zu erfassen als or Ort.

Die Lernfähigkeit über neue Herangehensweisen an die digitale schnelllebige Kultur ist ebenso rasant. Für digital natives allerdings gilt eine wesentlich schnellere Analyse und Wahrnehmbarkeit von Kunst. Darüber hinaus werden sie digitale Kunst wie sie heute entsteht als selbstverständlich annehmen, vor allem dann wenn diese Kunst auf Partizipation und Interaktion angelegt ist. Das Ausmaß dessen wie sich der Kunstbetrieb noch weiter verändern wird, ist für viele noch nicht vorstellbar. Sicher ist, dass es noch digitaler wird.

Kunstgeschichte
Der rasante technologische Wandel und die damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen zwingen die bisherige kunstgeschichtliche Betrachtung zu einer Neubewertung. Bisherige Theorien und Praxen müssen infrage gestellt werden, denn auch die Rezeption von digitaler Kunst ist eine andere.

Neue Terminologien müssen gefunden werden. Der Begriff digitale Kunst ist bis heute umstritten und über die derzeit gehypte „Post-Internet-Art“ streiten sich die Experten. Ist das Internet schon obsolet? Kunsttheoretische Analysen müssen neu definiert werden, denn vieles was bisher auf der Oberfläche erklärbar war, versteckt sich heute hinter codes. Gleiches gilt für gute oder schlechte Kritik, denn nur wenige Kunstjournalisten kennen sich wirklich mit digitaler Kunst aus. Der Kreis der Insider ist überschaubar und untereinander gut vernetzt.

Für Sammler bedeutet es, bisher gültige Sammlungskriterien neu zu überdenken. Themen wie Langlebigkeit, Authentizität und Werthaltigkeit gelten für viele Arbeiten nicht mehr. Die neue Kunst fordert ein generelles Umdenken hinsichtlich der Bewahrung und Präsentation von Kunst. Die Verantwortung des Sammlers über den Erhaltung seiner digitalen Erzeugnisse ist groß und ein Garant für die Kontinuität der Zeit. Nicht selten kauft er einen Vertrag, eine Lizenz sowie eine Reihe an Geräten, die die Werke auch in Zukunft erfahrbar machen.

Netzkunst von Olia Lialina oder Rafaël Rozendaal ist im allgemeinen abhängig von Hardware  (Computer, Festplatten, Interfaces, Sensoren, Monitore, Projektoren etc.) und von Software. Doch wie lange wird es die Hardware noch geben? Die Zukunft deutet auf immer mehr Hardwarelosigkeit hin. Was in der Forschung digitaler Kultur auf der einen Seite für Verbesserungen sorgt, führt auf der anderen Seite zum Verfall. Dokumentationen dieser Arbeiten werden wichtiger denn je.

Doch eine Gemeinsamkeit der „guten alten“ und „neuen“ Kunst gibt es: die Interaktion! Denn was wäre ein Kunstwerk ohne Rezipient und umgekehrt. Ob vor dem Bildschirm oder einer Leinwand ist für die Rezeption irrelevant.

Wie Sammler, Künstler und Kunstvermittler mit den neuen Möglichkeiten der Kunst umgehen und was noch alles auf uns zukommen wird, ist Thema der folgenden Blogbeiträge.